Montag, 29. Oktober 2012

Rechtliche Legitimation und Grenzen der Transparenz

Die Transparenz legitimiert sich grundlegend gesetzlich, sogar grundgesetzlich - jedoch meist nur in Ableitungen. Eine wirkliche umfassende gesetzliche Klarheit besteht in Deutschland leider nicht. 

Wir haben das Informationsfreiheitsgesetz sowie das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) - auch speziell in NRW. In Hamburg gibt es seit dem 6. Oktober ein bislang beispielloses "Transparenzgesetz". Das Hamburger Transparenzgesetz wird jetzt eifrig von den anderen Bundesländern (wie z.B. Berlin oder Bayern) kopiert ...


In einigen Ländern, wie z.B. in Schweden, ist die politische Transparenz Teil der Verfassung. 

Transparenz ist aber auch Teil eines bilateral verpflichtenden Grundsatzes mit Rechtscharakter eines allgemeinen Völkerrechts-Gewohnheitsrechts mit UN Mandat von 1996 (Resolution 50/225), welches als „Good Governance“ auch zum bindenden Rechtsgrundsatz des internen nationalen Rechts der ratifizierenden Staaten geworden ist. Ob der einzelne Staatsbürger oder eine zivilgesellschaftliche Gruppe bzw. Organisation des ratifizierenden Staates von seinem Staat auf einem konkreten Politikfeld, die Erfüllung von „Good Governance“ im Sinne eines Bürger- oder Menschenrechts einfordern kann (Drittwirkung), ist allerdings noch ungeklärt.

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption (UNCAC) ist der erste weltweit völkerrechtlich bindende Vertrag zur Bekämpfung der Korruption. Er verpflichtet die Vertragsparteien zur Bestrafung verschiedener Formen der Korruption gegenüber Amtsträgern und zur internationalen Zusammenarbeit. Deutschland hat das Übereinkommen am 9. Dezember 2003 unterzeichnet, es bislang aber noch nicht ratifiziert. Dazu bedarf es zahlreicher Änderungen des Strafgesetzbuches (StGB), insbesondere eine Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung (Paragraf 108e StGB).

Von einer Transparenz der EU lohnt es sich ja kaum zu sprechen oder schreiben - und bei einer Legitimation wird es ja noch komplexer...

In Deutschland fußt die Transparenz selbst (direkt oder indirekt) auf der Volkssouveränität der "Freiheitlichen demokratischen Grundordnung" - im Grundgesetz u.a. Art. 20 (2) "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. [...]"

Für diese vom Volk ausgehende Demokratie, das ist eigentlich weitgehend unbestritten, benötigt es Transparenz. Die Frage ist nur, wie weit diese Transparenz in welchen Bereichen geht - oder gehen darf. Klar ist, dass Personen des öffentlichen Lebens transparenter als Otto-Normalbürger sein müssen und die Bürger bei Themen von öffentlichem Interesse ein Recht auf umfassende Aufklärung haben.

Eine weitere rechtliche Legitimation für Transparenz ergibt sich aus der Pressefreiheit, GG Art. 5 „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Allerdings wird hier das Verständnis von Transparenz beschnitten und auf allgemein zugängliche Quellen, die nicht näher definiert werden, begrenzt. Der von Habermas geforderte Diskurs der Öffentlichkeit ist hier folglich abhängig von der bei Kant geforderten "Publizität".

Frieden als Motivation der Transparenz?
Immanuel Kant verknüpfte das Prinzip der Transparenz (Publizität) untrennbar mit Rechtmäßigkeit und Legitimität einer Regierung. "Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht." (I. Kant)
"Qualitätsnachrichten und -informationen sind notwendig, damit Menschen am Leben ihrer Gemeinden voll teilnehmen können", schreibt die Knight Foundation in einem Bericht über den "Aufbau starker Gemeinschaften durch Informationsaustausch" (Knight Foundation 2011). Sie fügt hinzu: "Exakte und zeitgerechte Informationen müssen auf eine zugängliche Weise zur Verfügung gestellt werden - und diese müssen von ihren Urhebern auf einfache Weise dorthin fließen können, wo sie am meisten gebraucht werden." Dies sei ein "Markenzeichen" einer "transparenten und rechenschaftspflichtigen Regierung, ein zentrales Merkmal für eine effektive Zivilgesellschaft und ein entscheidender Baustein für einen erfolgreichen Privatsektor mit Geschäftsethik". (bpb)
Transparenz in der Wirtschaft (z.B. Markttransparenz) legetimiert sich meist aus dem Verbraucherschutz und dessen gesetzlichen Regelungen (Verbraucherinformationsgesetz). Zumindest scheinen Kunden eine Transparenz hier bereits als eine Art Grundrecht wahrzunehmen. Für die altgediente Geschäftswelt, die bislang auf Vertraulichkeit fußte, ist die Transparenz eine Horrorvision. Aber auch die Position ist berechtigt, dass erst Transparenz eine Vergleichbarkeit und somit wirklichen Wettbewerb ermöglicht. Eine absolute Transparenz des Marktes (Informationsökonomik) sei nach Oskar Morgenstern nicht möglich, da nicht alle Marktteilnehmer wechselseitig alle Details wissen können.
"Die Legitimation eines demokratischen Systems speist sich nicht nur aus der Beteiligung der Bürger an den regelmäßig stattfindenden Wahlen (sog. Input-Legitimation) und der unter ihnen vorhandenen Unterstützung des politischen Systems (Legitimation durch Identität). Sondern beides setzt zur Meinungsbildung wiederum die Möglichkeit eines regelmäßigen Zugangs zu Informationen über das politische Geschehen voraus (Legitimation durch Öffentlichkeit und Transparenz)." (Anke Offerhaus; Transparenz und massenmediale Öffentlichkeit als Voraussetzung demokratischer Legitimation)

Aber nicht nur die Politik und Politiker - sondern selbstverständlich auch alle ihre Organe (wie z.B. Verfassungsrichter) legitimieren sich aus der Transparenz gegenüber dem Souverän. „Transparenz und Kontrolle sind unverzichtbar für die Legitimation des Verfassungsschutzes in einer Demokratie“ Alexander Bauer

Selbst - oder gerade - bei den Geheimdiensten stellt sich die Frage, wie diese gegenüber Parlament und Bürger transparent kontrolliert werden können. Ohne diese Kontrolle und zumindest eine politisch interne Transparenz stellt sich die Daseinsberechtigung in Frage. Da müsste mal richtig aufgeräumt werden - und damit meine ich keine Entsorgung von Akten!!

Nur aus einem Vertrauen - und zwar keinem blinden - sondern berechtigtem Vertrauen legetimieren sich Politik und Politiker. 
"Stattdessen aber regiert uns eine Diktatur der Mittelmäßigkeit, sagt Oswald Metzger. Er erklärt, warum ohne Vertrauen keine Gesellschaft funktioniert und was der Hauptfeind des Politikers ist." (DIE WELT)

Es geht um Geld - richtig viel Geld. So stellt selbst das "Bundesministerium für Wirtschaft und Zusammenarbeit" (BMZ) fest:
"Dort wo Kontrollmechanismen, die Transparenz staatlichen Handelns und Rechenschaftspflichten fehlen, wird Korruption besonders begünstigt." (BMZ)

"Transparenz und Ordnungsmäßigkeit sind notwendige Voraussetzungen für eine Verwendung von öffentlichen Geldern, die den Prinzipien von Good Governance entspricht." S. 21

>>> Interessanter Artikel über die Entwicklung der "Korruptionskultur"




Datenschutz, Schutz von Privatsphäre / Intimsphäre, staatliche Geheimhaltungs-Verpflichtungen, Amtsgeheimnisse, Vertraulichkeit, Persönlichkeitsrechte, die Unschuldsvermutung und das Freie Mandat sind sozusagen die "Komplementäre" zur Transparenz. 

Diese widersprechen der Transparenz, beschneiden oder grenzen diese in einen angemessenen Rahmen. Das hat verschiedene gravierende Vorteile!!

Der wichtigste Vorteil ist der Lern-Effekt. Natürlich ist es ein bisschen komplexer den Bürgern rüber zu bringen, dass sich Transparenz und verschiedene Schutzrechte, wie Datenschutz bedingen - aber es gibt halt keine andere Partei, die dies authentisch kommuniziert, am weitesten vorlebt und der man aktuell vertrauen kann, die Geheimniskrämerei des Staates zu beenden. Begreift der Bürger einzelne Zusammenhänge, dann ist dies ein Lernprozess, der sich regelrecht im Gehirn verankert und stets wieder abrufbar sein wird (sich vernetzende Wissenseinheiten).
  • Um eine wirklich gute, exakte und mächtige Definition von Transparenz zu finden, macht es fast mehr Sinn bei einer Maximalforderung zu bleiben, Rechenschaft von allem zu verlangen was intransparent bleiben will und die Komplementäre so genau wie möglich zu beschreiben.
    "Um Transparenz sicherzustellen, müssen Methodenbeschreibungen dem Prinzip der „Replizierbarkeit“ folgen: sämtliche Kriterien der exakten Wiederholbarkeit müssen offen gelegt werden." (EMNID)
    Je genauer die Faktoren beschrieben werden, die Transparenz aus rechtlichen Gründen eingrenzen, um so exakter wird die Definition von Transparenz selbst!

    Besonders der Datenschutz ist bereits sehr sicheres und gut formuliertes Gewässer für die Piraten und macht es daher in diesem Bereich recht einfach.

     
  • Das bedeutet nicht, daß man die Geheimhaltungs-Verpflichtungen und -Variationen der Bundesregierung hinnehmen muss, die ohnehin jeder noch so gewollten Transparenz einen Strich durch die Rechnung machen wollen - im Gegenteil: Es geht darum zu formulieren, wie sich die "Komplementäre" der maximalen Transparenz anzupassen haben - ohne die Grundrechte zu beschneiden oder auch nur anzurühren.
     
    • Ist die Geheimhaltungsfrist von 30 Jahren angemessen?
      Sind Informationen, die freigegeben werden, im Anschluss im Internet zu veröffentlichen und somit jedem Menschen ungefragt zugänglich zu machen (vergleichbar dem FBI, der allerdings nur teilweise publiziert)?

    • Vormals geheime bzw. vertrauliche Inhalte, die veröffentlicht werden sollen und datenschutzrechtlich relevant sind, müssen anonymisiert werden. Der Aufwand, um dies SICHER zu stellen, ist zu bedenken.

    • Unter dem Deckmäntelchen von Geschäftsgeheimnissen und Urheberschutz wird versucht sich der Transparenz zu entziehen.

      Demnach müssen Firmen künftig im Vorfeld über die Offenlegung informiert werden - diese Offenlegung zum Bestandteil der Zusammenarbeit zwischen Firmen und der Regierung bzw. ihren Einrichtungen werden.

      Daß Urheberschutz von Medien, die für die Regierung erstellt wurden, kein Argument ist diese vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, moniert die Piratenpartei ja bereits.

  • Aus meiner Sicht ist die Vertraulichkeit von Politikern zu wahren und auch Teil ihres Freien Mandates, also grundgesetzlich geschützt. Politikern, auch der Piratenpartei, sind somit vertrauliche Gespräche grundsätzlich zu ermöglichen. Wieviel von diesen Gesprächen in welcher Form wann zu veröffentlichen ist, bleibt eine spannende Frage und kann nur im Kontext zu den einzelnen Tätigkeitsfeldern eines Politikers exakt definiert werden.

    Dabei kann es hilfreich sein, sich den eigentlichen Auftrag in das Gedächtnis zu rufen. Koalitionsverhandlungen sind z.B. eine Fort- & Ausführung der Wahl - eine Konkretisierung des Wählerwillens - und sollten deshalb grundsätzlich absolut transparent sein (möglichst audiovisuell aufgezeichnet werden).

    Interne Wahlen, die vom Volk gewählte Abgeordnete unter sich ausüben, müssen nicht vollumfänglich transparent sein, da die Wähler die Gewählten auch zwecks Selbstorganisation gewählt haben. Wenn die Wähler auch die Posten per Wahl bestimmen wollen, müsste dies gesetzlich festgelegt werden. Daher sollten Gewählte unter sich abstimmen, wie diese bzgl. der Transparenz ihrer Wahl verfahren wollen.
    Grundsätzlich sollte mindestens das Protokoll veröffentlicht werden, das in solchen Fällen möglichst von allen Beteiligten - mindestens aber von 2-3 Vertretern unterzechnet wird.

  • Bei der Gewaltenteilung bin ich mir nicht sicher, ob diese nicht vielleicht sogar der Transparenz in die Hände spielt. Ich muss mich hier erst tiefer einarbeiten. Der Gedanke war, dass durch die Gewaltenteilung ein gewisser direkter Informationsfluss untersagt ist und dann evtl. auch nicht über die Öffentlichkeit fliessen darf. Aber vielleicht ist es ja genau anders herum, dass gewisse Informationsflüsse der Gewaltenteilung eben nur über ein Medium wie die Öffentlichkeit fliessen können.

  • Weitere Rechte, welche Transparenz beschneiden können: Privatsphäre, Intimsphäre und Persönlichkeitsrechte.

  • Unschuldsvermutung: Die Unschuldsvermutung kommt mir irgendwie zu kurz in der Diskussion um die Transparenz von Politikern. Es macht natürlich absolut Sinn Politiker darauf hinzuweisen, wie nackig sich z.B. Hartz4-Empfänger machen müssen. Hier scheint die Unschuldsvermutung nicht zu zählen und man könnte in's Feld ziehen, dass diesem Beispiel auch Politiker folgen müssten. Wahrscheinlich würde sich die Situation der Hartz4-Empfänger sehr schnell ändern.

    Natürlich ist ein gesundes Misstrauen gegenüber Politikern und Politik angebracht. Dies darf aber nicht in einer Form entarten, wo jeder Politiker und die Politik insgesamt als grundsätzlich kriminell hingestellt werden. Auch hier hat die Unschuldsvermutung zu zählen und spricht in Einzelfällen gegen eine übertriebene Transparenz.

Ich bin kein Anwalt und auch kein Verfassungsrechtler. Daher freue ich mich ganz besonders über kompetentes Feedback und werde diesen Artikel weiter entwickeln.

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